02.08.2024
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Wenn Helfer selbst Hilfe brauchen - Eine Gehirnhälfte muss „Jojo“ zum Leben reichen

Familie Konarski durchlebte einen Albtraum – In einem Gespräch gewährt sie Einblick in ihren Alltag¶

Teisendorf, Oberteisendorf – Anderen Menschen helfen, ist ihre Passion. Tom bei der Freiwilligen Feuerwehr Traunstein, Claudia als ehrenamtliche Leiterin der Rettungshundestaffel des Roten Kreuzes. Doch jetzt brauchen sie selbst Hilfe. Ihr dreijähriger Sohn Jojo leidet an einer seltenen Hirnkrankheit. Seine rechte Gehirnhälfte wurde deshalb »ausgeschaltet«.


»Willkommen zu Hause« steht auf dem bunten Banner mit großem Herzen über der Haustür von Familie Konarski in Oberteisendorf – Papa Tom (39) und Mama Claudia (37) mit den Söhnen Johannes (Jojo, 3 Jahre) und Matthias (4 Monate) samt Rettungshund Fanni. Es sind schreckliche 15 Monate, die hinter ihnen liegen. »Jojo ist quasi im Krankenhaus aufgewachsen«, erzählt Tom. Er stützt seinen Sohn, als dieser – mit Schiene am linken Fuß und gepolstertem Helm aber mit einem breiten Lächeln im Gesicht aus dem Garten getorkelt kommt. »Ihn schmeißt es halt so oft«, erklärt Tom. »Und dann kann er sich nicht abfangen und fällt auf dem Kopf.«


Dass der fröhliche Bub überhaupt wieder auf den Beinen steht, grenzt an ein Wunder. Als Tom seinem Sohn im Hochstuhl – ein spezieller Therapiestuhl – den Schutzhelm abnimmt, ist die Narbe zu sehen, die sich über den Hinterkopf des Buben bis zum Haaransatz auf der Stirn zieht. Mama Claudia holt Brüderchen Matthias – er kam auf die Welt, als Jojo im Krankenhaus lag – und nimmt ebenfalls am Tisch Platz. Die emotionale Belastung der letzten Monate ist den Eltern anzusehen, als sie ihre Geschichte erzählen.


Angefangen hat alles im März letzten Jahres. Jojo, damals noch keine zwei Jahre alt, war auf einmal »so lätschert«, dass Tom seine Frau Claudia bat, den Buben nach der Arbeit im Geschäft abzuholen. Tom Konarski arbeitet als Uhrmacher im Schmuckgeschäft seiner Eltern in Traunstein, Claudia beim Roten Kreuz in der Verwaltung. Bei der Heimfahrt habe er dreimal ins Auto gespuckt, zu Hause dann angefangen, rhythmisch zu zucken, ehe er schließlich gar nicht mehr reagierte. Dafür aber seine Mutter: Sie rief den Notarzt, der den Buben im Rettungshubschrauber ins Krankenhaus brachte.


»Dann nahm der Wahnsinn seinen Lauf«, so der Vater. Zunächst auf der Kinderintensiv in Traunstein kam Jojo kurz darauf zu Spezialisten in die Schön-Klinik nach Vogtareuth. Sein Gehirn wurde untersucht und Vernarbungen festgestellt, die epileptische Anfälle auslösen können. Die Diagnose lautete: Der Bub hat eine fokale kortikale Dysplasie, was so viel bedeutet wie eine Fehlbildung in einem Teil der Großhirnrinde.


»Da haben wir noch gedacht, die Anfälle seien eindämmbar«, erzählt Claudia. Zumal der nächste epileptische Anfall erst vier Monate später kam. Aber »ab Mitte August ist es dann schlagartig dahingegangen«: von vier bis zu 100 Anfällen am Tag. Der Bub kam wieder ins Krankenhaus und wurde nach kurzer Zeit auf der Intensiv-Station wieder nach Vogtareuth verlegt. Bis Ende Februar sollte der Aufenthalt diesmal dauern.


Als quälend lang empfand Thomas rückblickend diese Zeit, in der erst seine Frau und dann – als sie hochschwanger nicht mehr konnte – er stets an Jojos Seite waren. »Eine halbe Stunde am Tag durften wir raus.« Ansonsten war Jojo an allerlei Geräten angeschlossen, sein Gehirn wurde mit Medikamenten ruhiggestellt. Im September entschieden die Ärzte schließlich, dem Buben den rechten Frontallappen (einen Teil des Großhirns) zu entfernen. Eine Operation, von der sich Jojo nur sehr schwer erholte und die – wie sich leider herausstellen sollte – auch unnötig war. Denn bei der Biopsie des Gewebes kam raus: Das Kind leidet an der Rasmussen-Enzephalitis, einer sehr seltenen, sich immer weiter ausbreitenden Entzündung des Gehirns (jährliche Inzidenz von 1:500 000).


»Anfang Oktober wussten wir also endlich, was für eine Krankheit Jojo hat«, erzählt Mama Claudia. Ein Schock für alle – passte der Verlauf doch nicht recht zum klassischen Krankheitsbild. Gleichzeitig war klar, Jojo muss erneut operiert werden, um die befallene Gehirnhälfte komplett »auszuschalten«. Medikamente gegen die Krankheit gibt es nicht und unbehandelt würde sie zum Tod führen.


Es dauerte noch gut drei Monate, ehe Jojo fit genug war für die zweite Operation. Zusätzlich geschwächt wurde sein Körper derweil von den vielen, vielen Krampfanfällen jeden Tag. »Weihnachten durfte Jojo mit nach Hause, war aber so zugedröhnt mit Medikamenten, dass er kaum sitzen konnte«, schildert Papa Thomas die schreckliche Zeit. Damals zählten die Eltern bis zu 100 Anfälle am Tag. Claudia schaut zu Jojo, streichelt ihm über den Arm und kämpft mit den Tränen. Die Erinnerung schmerzt. So viel mitansehen und dabei so wenig helfen zu können. Der Bub spielt scheinbar unbeeindruckt davon mit einem Feuerwehrauto.


Am 5. Januar stand dann die zweite große Operation an, bei der die Nervenstränge von Jojos rechter Gehirnhälfte durchtrennt wurden. Der Bub – damals noch keine drei Jahre alt – war ab da anfallsfrei aber eben auch halbseitig gelähmt. Seither kämpfen er und seine Eltern sich zurück in die Normalität, die freilich für immer eine andere sein wird.


Jojo muss vieles neu lernen, seine linke Gehirnhälfte den Ausfall der rechten kompensieren, was nicht von heute auf morgen und auch nur in Teilen funktionieren wird. Nach sechs Monaten Klinik und Reha durften er und sein Papa endlich wieder nach Hause. Physio- und Ergotherapie, Logopädie und vieles mehr prägen seither den Wochenablauf der vierköpfigen Familie. »Auch zu Hause üben wir ganz viel mit ihm«, erzählt Claudia vom kräftezehrenden Alltag. Aber es lohnt sich: Jojo hat so vieles schon wieder gelernt. Der Dreijährige wirkt auf den ersten Blick fast wie ein gesundes Kind, wie er da in seinem Hochstuhl sitzt. Dass sein linker Arm nach wie vor gelähmt ist, fällt nicht auf. Erst, als er ihn mit der rechten Hand packt, um zu winken. Dass er verzögert reagiert, manches Mal abwesend wirkt, wird deutlich, als seine Eltern ihn etwas fragen. Sein Blickfeld ist eingeschränkt – wird es nach Auskunft der Ärzte wohl auch bleiben. Und sonst? »Wir schauen trotz allem positiv in die Zukunft«, sagt Claudia und es wirkt ein bisschen, als wolle sie sich damit selbst Mut zusprechen. Genau wissen, was auf sie zukommt, tun sie nicht.


Dafür bleibt im Alltag aber auch zu wenig Zeit. Neben dem straffen Therapieplan, der eigenen Arbeit, dem kleinen Brüderchen und dem Ehrenamt müssen Claudia und Thomas ständig mit der Krankenkasse streiten, wie sie sagen. Was wird bezahlt, was nicht – ein zermürbender Kampf. Einiges müssen sie selbst übernehmen. Dazu kommt jetzt auch noch ein dringend nötiger Umbau ihres Reihenhäuschens aus den 70er Jahren. »Wir brauchen zuallererst ein barrierefreies Bad«, sagt Thomas. Um sich helfen zu lassen, haben sie sich an die Bürgerstiftung Berchtesgadener Land gewandt. Dort werden Spenden für Jojo gesammelt.


Für ihre Ehrenämter nehmen sich Claudia und Thomas nach wie vor Zeit. »Das muss sein und schafft uns auch Abwechslung vom Alltag. Wir müssen auch mal raus hier.« Helfen, um sich selbst zu helfen sozusagen. Für ihren Sohn wünschen sie sich: »Dass er so unbeschwert wie möglich aufwachsen kann. Und so akzeptiert wird, wie er ist!«

Alles, was ihr tun müsst, ist die IBAN DE96 7109 0000 0100 7215 57 einzugeben und als Verwendungszweck Jojo zu verwenden (*).

Jeder Betrag kann helfen.
Vielen Dank an alle die etwas spenden und der Familie Konarski wünschen wir noch ein gutes Durchhaltevermögen in dieser Zeit.


*Bei der Angabe der Anschrift wird Ihnen natürlich auch eine Spendenquittung ausgestellt. Weitere Informationen zur Bürgerstiftung gibt es unter der 08651/6006-1274.

Text und Bild
Kathrin Bauer, Traunsteiner Tagblatt